Künstlerresidenz "High Altitude Research Station", Jungfraujoch
Als eines der begehrtesten Reiseziele der Schweiz mit jährlich bis zu einer Million Besucher*innen, ist das Jungfraujoch schon seit jeher ein Ort der Gegensätze. Die Massen von selfieknipsenden Tagestouristen treffen hier naturliebende Alpinist*innen, die auf ihre einsamen Hochtouren starten. Gleichzeitig befindet sich nur ein paar Meter entfernt eine der wichtigsten und höchst gelegenen Forschungsinstitutionen Europas. Die Internationale Stiftung HFSJG betreibt die «High Altitude Research Station» und liefert täglich Unmengen an Daten zu Atmosphäre, Klima, Wetter, Strahlung, Glaziologie, Permafrost, etc.
An dem touristischsten Hotspot der Schweiz wird mit modernster Technik nach Lösungen für die Klimakrise geforscht, die nicht unwesentlich vom Tourismus mitverantwortet wird.
Es ist genau dieser Kontrast, der den Künstler Peter Baracchi fasziniert. Einen Monat lang lebt und arbeitet Baracchi von August bis September 2021 in der Forschungs-Station auf dem Jungfraujoch auf mehr als 3'500 M.ü.M.
Für diesen Aufenthalt hat er sich ein streng konzeptionelles Arbeitsprogramm zurechtgelegt: inspiriert durch die vergnüglichen Aktivitäten der Touristen, welche hier oft zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee sehen, baut der Künstler jeden Tag Schneewesen, welche dann mittels analoger Sofortbildtechnik dokumentiert werden. Für jeweils 24h bleiben sie draussen der Sonne, der Witterung und den Touristen ausgesetzt, bevor der Künstler sie nach drinnen an die Wärme transportiert, um sie über Nacht schmelzen zu lassen.
Das Schmelzwasser wird filtriert – die Filter werden getrocknet, gepresst und fixiert – das Wasser in Glasbehälter abgefüllt und hermetisch versiegelt.
Sämtliche Artefakte der Schneewesen werden gesammelt, datiert und archiviert. Dadurch entsteht eine analytische Dokumentation der Tätigkeiten des Künstlers vor Ort, während seine pseudo-wissenschaftliche, sich täglich wiederholende Sisyphos-Arbeit zur Performance wird.
Am Ende entstehen so dreissig individuelle Kunstwerke, die jeweils aus den konservierten Fragmenten eines Schneewesens und dem dazugehörigen Polaroid-Foto bestehen. Passenderweise wird auch das Polaroid-Foto mit der Zeit verschwinden. Denn ähnlich wie Schnee, zersetzt sich auch das Polaroid, je stärker man es dem Sonnenlicht aussetzt.
Somit befasst sich Baracchi als «Gast-Forscher» mit ähnlichen Themen wie die Umweltforscher, die üblicherweise hier arbeiten. Dennoch ist seine Arbeit mehr als reine «Klimakunst», im Vordergrund stehen die gesellschaftlichen Aspekte. Es ist eine künstlerische Auseinandersetzung an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Kultur, Kunst und Wissenschaft, welche die Vergänglichkeit und unseren Umgang damit thematisiert.